Die leise Schwere, die niemand sieht

Von Tanja Golob
Die leise Schwere, die niemand sieht

Inhaltsverzeichnis

Es gibt Momente im Leben, in denen wir Traurigkeit spüren - ohne ersichtlichen Anlass.

Der Tag beginnt ruhig, der Alltag läuft. Und doch zieht sich eine innere Schwere durch alles, was wir tun. Wie leiser Regen. Nicht bedrohlich. Aber beständig.

Ich nenne dieses Gefühl: Seelenregen.


Was ist Seelenregen?

Mit Seelenregen meine ich eine Form von innerer Niedergeschlagenheit, die sich nicht auf ein konkretes Ereignis zurückführen lässt. Es ist kein klarer Traueranlass, kein aktueller Konflikt, der dieses Gefühl auslöst und doch ist es da. Wie ein stilles Ziehen. Eine melancholische Grundstimmung. Oft begleitet von einem Gefühl der Sehnsucht oder inneren Leere.

Viele Menschen berichten davon, „grundlos traurig“ zu sein. Sie verstehen nicht was mit ihnen los ist und verurteilen sich sogar dafür, dass sie gerade keine Lebensfreude empfinden, obwohl „objektiv“ doch alles in Ordnung scheint. Doch unsere Psyche funktioniert nicht immer logisch oder linear. Gefühle sind nicht immer an konkrete Situationen gebunden. Vielmehr können sich unverarbeitete Erlebnisse, alte Muster, chronische Überforderung oder ein Mangel an sozialer Verbundenheit in solchen Momenten bemerkbar machen - oft ohne dass wir den Zusammenhang sofort erkennen.

Manchmal ist der Seelenregen auch ein leiser Hinweis auf das, was einem fehlt, eine „Systemmeldung“ unserer Seele, die sagt:

„Etwas stimmt nicht – aber ich kann es dir (noch) nicht in Worte fassen.“



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Woher kommt dieses Gefühl?

Manchmal ist es, als würde unsere Seele uns etwas mitteilen wollen - ganz ohne Worte. Diese stille Traurigkeit kann ein innerer Hinweis sein, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Auch hormonelle Schwankungen, Erschöpfung, schlaflose Nächte oder ein Wechsel der Jahreszeiten können unser inneres Gleichgewicht beeinflussen - oft, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen. Und das betrifft nicht nur Frauen im Zyklus oder in den Wechseljahren, sondern auch Männer, zum Beispiel durch Veränderungen der Schilddrüsenwerte, des Cortisol- oder Testosteronspiegels.

In solchen Fällen lohnt sich oft ein Besuch beim Arzt, um die Blutwerte überprüfen zu lassen und mögliche körperliche Ursachen auszuschließen.

Manchmal aber spüren wir nur die Wirkung - eine leise Traurigkeit, die scheinbar aus dem Nichts kommt. Und doch hat sie ihre Wurzeln. Manchmal genügt es auch schon, ihr einen Moment Aufmerksamkeit zu schenken...


Was können wir tun, wenn uns diese diffuse Traurigkeit überkommt?


  • Annehmen statt abwehren Gefühle, die wir bekämpfen oder verdrängen, bleiben oft länger. Wenn wir hingegen bereit sind, das Unwohlsein zuzulassen, kann sich etwas lösen. Traurigkeit darf da sein. Auch ohne Erklärung.

  • Verzichte auf Selbstverurteilung Viele Menschen geraten in einen inneren Konflikt, wenn sie sich ohne offensichtlichen Grund traurig fühlen. Aussagen wie „Ich hab doch keinen Grund!“ oder „So sollte ich mich doch gar nicht fühlen“ bringen jedoch zusätzlich Druck und Schuldgefühle mit sich und verschärfen das Unwohlsein.

  • Selbstfürsorge Frag dich: Was tut mir gerade gut? Manchmal ist es ein Spaziergang, manchmal einfach Ruhe. Oder auch Musik, ein Gespräch, ein warmes Getränk, Stille... Der Zugang zu den eigenen Bedürfnissen hilft, innere Stabilität zurückzugewinnen.

  • Die Sehnsucht würdigen Oft steckt hinter der Traurigkeit eine Sehnsucht. Nach Nähe, Lebendigkeit, Sinn. Wenn wir sie nicht bewerten, sondern anerkennen, können wir sie besser einordnen.

  • Soziale Kontakte Auch wenn ich mich wiederhole: Ruhe und Alleinsein sind wichtig aber sich dauerhaft in sein Schneckenhaus zurückzuziehen, ist keine Lösung. Geh raus, triff Menschen. Wenn gerade keiner Zeit hat, dann zieh allein los. Setz dich in ein Café - vielleicht mit einem Buch, wenn du dir doof vorkommst. Schon das leise Eintauchen in das Leben draußen kann tröstlich sein.


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Schlusswort

Nicht jede Traurigkeit braucht eine Lösung. Manchmal will sie einfach nur gespürt werden. So wie der Regen - der kommt, fällt, vergeht. Und manchmal dabei die Luft reinigt.

Vielleicht ist auch dein heutiger Tag ein solcher Tag. Dann nimm den Seelenregen an - als Zeichen, dass du fühlst. Dass du verbunden bist mit deiner Tiefe. Und dass deine Seele auf ihre ganz eigene Weise mit dir spricht.

Vielleicht brauchst du ja heute einfach nur jemanden, der sagt:

Es ist okay, dass du so fühlst.